Don’t judge

Ich wünsche euch allen einen guten Start ins neue Jahr!

Die Weihnachtsfeiertage mit Verwandtenbesuchen sind rum, auch die vielen Wiedersehenstreffen zwischen den Jahren. Mir gefällt diese trubelige Zeit sehr gut, doch ich kenne auch Menschen, bei denen die Feiertage regelmäßig im Streit enden. Auch wenn es bei uns glücklicherweise noch nie so weit gekommen ist, finde ich die Tage doch auch sehr anstrengend und habe am Ende erst mal genug von sozialer Interaktion.

Mal abgesehen davon, dass ich introvertiert bin und darum Zeit allein brauche, um meine Batterien aufzuladen, glaube ich, dass es noch einen Grund gibt, warum für viele gerade die Weihnachts- und Wiedersehensbesuche so anstrengend sind.

Verwandtschaft besteht in der Regel aus Menschen in unterschiedlichen Lebensabschnitten, mit unterschiedlichen Lebensentwürfen. Trotz aller genetischen Nähe ist die Verwandtschaft doch heterogener als der aktuelle Freundeskreis.

Genauso sieht es bei den Widersehensfeiern aus, sei es der Abijahrgang, die Studienkollegen, alte Weggefährten. Man sieht sich vielleicht einmal im Jahr, wenn überhaupt, lebt sonst in unterschiedlichen Städten, hat unterschiedliche Ideen von einem guten Leben, hat sich vielleicht sogar weit auseinandergelebt.

Diese Konstellation bringt natürlich Gespräche mit sich, bei denen die gemeinsame Basis sehr dünn ist. Das kann einerseits sehr interessant werden, wenn man aufgeschlossen für andere Ideen ist, sodass wirklich neues Wissen auf beiden Seiten generiert wird.

Meistens ist das jedoch nicht der Fall, sodass die Gespräche abgleiten in ein permanentes Verteidigen der eigenen Werte, ohne wirklich einen Mehrwert daraus zu ziehen. Verkürzt könnte ein Dialog etwa so aussehen:

A: „Mir gefällt die Farbe rot am besten und ich überlege mir gerade, welche Schattierung wohl die beste wäre.“
B: „Was hast den du für seltsame Ideen? Grün ist die einzig wahre Farbe!“
A: „Aber ich mag rot eben gern und möchte darum auch meine Wand rot streichen.“
B: „Rot käme bei mir nicht in die Wohnung. Das wirst du irgendwann auch verstehen.“
A: „Du hast einfach keinen Geschmack. Rot ist das neue Grün, das macht man jetzt so.“
usw…

Anstatt über die Schattierung von Rot zu sprechen, was A weitergeholfen hätte oder kurz und knapp zu sagen, dass man zu dieser Diskussion nichts beitragen kann, weil man Grün lieber mag, um dann ein anderes Gesprächsthema vorzuschlagen, greift B die grundsätzliche Einstellung von A an.

Beide verwenden Energie, um ihre Einstellung zu untermauern, weitergebracht hat sie das Gespräch aber am Ende nicht. Das ermüdet. Und trotzdem sähen viel Transkripte von Gesprächen wohl genauso lächerlich aus wie das obige.

Wie viel leichter, angenehmer und produktiver wäre es, wenn wir dem Gesprächspartner erst einmal vollstes Vertrauen entgegenbringen würden und ihm zutrauen, dass dieser sich schon etwas bei seinen Überlegungen gedacht hat?

Meistens ist das nämlich der Fall und man bekommt die Gelegenheit, an fremden Gedankengängen teilzuhaben, was sehr interessant und lehrreich sein kann.

Aber ich glaube, viele fühlen sich bedroht, wenn ihr Gegenüber  fremde Ideen äußert. Befürchten einen Angriff auf ihr Lebensmodell. Und starten darum präventiv schon mal einen Angriff auf ihr Gegenüber. So werden neue Ideen im schlimmsten Fall im Keim erstickt. Im besten Fall nur das Gespräch. Schade ist beides.

Darum wäre doch ein guter Vorsatz für das neue Jahr: Don’t judge. Erst mal nicht (ver-) urteilen. Sondern zuhören und reindenken.

Als kleines Schmankerl zum Schluss, ein paar Youtube-Clips zum Thema „Don’t judge“.

 

 

 

3 Gedanken zu “Don’t judge

  1. Hallo Marisa,

    da hast du echt was angesprochen! Ich finde es wichtig, sich immer wieder selbst in die Situation anderer herein zu versetzen, weil mir diese Abwehrhaltung ein wenig wie ein Instinkt vorkommt.

    Ich glaube allerdings nicht, dass Empathie angeboren ist. Vielmehr beobachte ich, dass Menschen im Trott ihrer eigenen kleinen Welt gefangen sind, wenn sie nie über die eigene Haut hinausgehen.

    Alles Liebe,
    Philipp

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  2. Aloha Marisa!
    Interessanter Beitrag. Ich denke, es ist richtig, dass wir da alle noch etwas dazu lernen können, aber ich glaube auch, dass es eine ganz natürliche Reaktion ist, seinen Standpunkt verteidigen zu wollen. Schließlich müssen wir uns selbst auch immer wieder vergewissern, wo wir stehen. Schlimm finde ich zum Beispiel auch das andere Extrem – wenn jemand immer gleich von seinem Standpunkt abrückt, mir beipflichtet. Da lerne ich ja auch nichts draus. Es braucht auch ein bisschen Reibung! Mit entsprechend guten Umgangsformen natürlich.
    LG

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  3. Hallo ihr zwei,

    es stimmt schon, dass man für eine gute Diskussion immer Reibung braucht. Nur leider sind diese Diskussionen, in denen man zwar mit Argumenten aufeinander eindrischt, aber im Tonfall und der Form immer empathisch bleibt, sehr rar.
    Aber diese empathische Grundlage, dieser Unterton, der besagt „Hier ist mein Argument. Mich interessiert, wie DAS dich nicht überzeugen kann.“ ist wichtig. Sobald die unsachlichen Hämmer ausgepackt werden, die die Grundüberzeugungen des anderen ins Lächerliche ziehen und nicht umsonst „Totschlagargumente“ heißen, ist die Diskussion tot.
    Dann doch lieber eine nettes Geplänkel, bei dem wir uns alle Liebhaben, als eine tote Diskussion, bei der wir uns an den Kopfe werfen, dass unsere Ideen alle lächerlich sind.

    Liebe Grüße, Marisa

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